Bei synaptos lautet unser Motto: Praxissoftware mit Haltung! Und diese Haltung zeigen wir den ganzen Juni über auch, wenn es um das Thema Gleichberechtigung und Rechte von Mitgliedern der LGBTQIA-Community geht! Denn der Juni ist offizieller #PrideMonth🏳️🌈!
Um darauf aufmerksam zu machen, dass Mitglieder dieser Community leider immer noch nicht dieselben Rechte besitzen und ihnen in unserer Gesellschaft nicht mit dem Respekt begegnet wird, den sie verdienen, haben wir beispielsweise als Zeichen unserer Unterstützung unser synaptos Logo auf unseren Social Media-Kanälen den gesamten Juni in die Regenbogenfarben gekleidet.
Praxis als „safe space“
Doch dies soll nicht das einzige Zeichen bleiben, das wir für die LGBTQIA-Gemeinschaft setzen. In diesem Blogbeitrag möchten wir uns mit dem Thema auf einer tieferen Ebene auseinandersetzen und eine Verbindung zur Physiotherapie knüpfen. Denn diese stellt aufgrund ihres intimen Naturells oftmals ein besonders schwieriges Feld für LGBTQIA-Menschen dar, weshalb diese aus Scham und Diskriminierung erst viel zu spät die gesundheitliche Versorgung erhalten, derer sie bedürfen.
Was können Therapeut:innen tun, um LGBTQIA-Personen den Zugang zu ihren Dienstleistungen zu erleichtern? Wie können sie verdeutlichen, dass diese bei ihnen in einem sogenannten „safe space“ sind und sich dementsprechend sicher fühlen können, ihr authentisches Selbst zu sein?
Wir haben Tipps für die affirmative Gesundheitsversorgung für geschlechtliche und sexuelle Minderheiten gesammelt und zeigen, wo besondere Sensibilität von Seiten der Therapeut:innen gefordert ist.
Begriffsklärungen
Wir haben jetzt bereits mehrmals den Begriff LGBTQIA verwendet. Warum haben wir uns für diesen entschieden? Was bedeutet der Begriff eigentlich bzw. was ist darunter zu verstehen?
LGBTQIA ist eine Abkürzung der englischen Wörter Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual/Transgender, Queer, Intersexual und Asexual. Auf Deutsch bedeutet dies, dass der Begriff als Abkürzung für lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle/Transgender-, queere, intersexuelle und asexuelle Menschen steht.
Damit wird natürlich eine große Gruppe von Menschen mit teilweise ähnlichen, dann aber wieder auch völlig unterschiedlichen Erfahrungen (auch im Gesundheitswesen) in einen Topf geworfen. Die individuellen Bedürfnisse dürfen dabei nicht in den Hintergrund geraten. Dennoch ist der Begriff mittlerweile gut etabliert und auch außerhalb der Community bekannt, weshalb wir ihn in diesem Blogbeitrag gewählt haben.
Das bisher inklusivste und vollständigste Akronym soll hier dennoch nicht unberücksichtigt bleiben und zumindest erwähnt werden: LGBTQQIIP2SAA+ steht für lesbisch, schwul (gay), bisexuell, transgender, questioning, queer, intersexuell, intersektionell, pansexuell, two-spirit (2S), androgyn und asexuell.
LGBTQIA-Community und das Gesundheitswesen
Wie leider immer noch in vielen gesellschaftlichen Bereichen sind die genannten geschlechtlichen und sexuellen Minderheiten auch im Gesundheitswesen oftmals einem Mangel an Gleichberechtigung, Respekt, Verständnis, Empathie Toleranz, Sichtbarkeit und Sicherheitsgefühl ausgesetzt.
Warum dies so ist? Für viele praktizierende Ärzt:innen, Therapeut:innen und Berater:innen war die Sensibilisierung für die gesundheitlichen, aber auch sozialen Bedürfnisse von LGBTQIA-Angehörigen kein Teil ihrer Ausbildung. Vielleicht wurden sie in der Vergangenheit auch nicht so stark mit diesen Themen konfrontiert, dennoch sollten sie sich dessen bewusst sein und ihr Behandlungskonzept miteinbeziehen. Mit wenigen Schritten können sie etwa ihre Praxis zu einem „safe space“, also einem geschützten Raum machen. Ein „safe space“ bezeichnet eine inklusive Umgebung, in der Menschen frei von Diskriminierung sein sollen und können.
LGBTQIA-Angehörige und häufige physiotherapeutische Bedürfnisse
Oftmals findet die notwendige physiotherapeutische Behandlung von Mitgliedern der LGBTQIA-Community erst verspätet statt, da diese sich unwohl dabei fühlen, ärztlichen bzw. therapeutischen Rat aufzusuchen, in der Angst diskriminiert, stigmatisiert und nicht ernst genommen zu werden.
Relevante physiotherapeutische Bedürfnisse von LGBTQIA-Personen sind dabei:
- Geschlechtsdysphorie, die zu Haltungsänderungen führt: gerundete Schultern, nach vorne gerichteter Kopf, thorakale Kyphose
- Atemprobleme und Beckenbodenprobleme, die auf eine unzureichende Aktivierung des Zwerchfells als Folge einer schlechten Körperhaltung zurückzuführen sind
- Komplikationen im Harntrakt, einschließlich Inkontinenz, Harndrang oder häufiges Wasserlassen
Physiotherapie mit speziellen Herausforderungen für LGBTQIA
Wie Megan H Ross und Jenny Setchell in einer Studie (2019) unter Mitgliedern der LGBTQ-Community in Australien herausgefunden haben, erleben LGBTQIA-Personen ganz spezielle Herausforderungen, wenn sie die Physiotherapie aufsuchen. Dazu können u.a. begrenzte Fähigkeiten zur Behandlung ihrer Beckenschmerzen, Darm-, Blasen- oder sexuellen Symptome gehören.
In der Studie zeigen die Autor:innen auf, warum gerade die Physiotherapie ein besonders heikles Fachgebiet für LGBTQIA-Personen sein kann. Dazu zählen die fachspezifische Intimität der Physiotherapie, wozu das Sich-Entkleiden, die genaue Untersuchung und auch Berührungen während der Behandlung zählen:
“While similarities between physiotherapy and other health professions exist, and previously identified barriers may apply to all forms of healthcare, it is likely that there are barriers unique to physiotherapy. Physiotherapy can be innately intimate, with undressing, critical observation and touch common during treatment. These aspects can be difficult to negotiate, with some physiotherapy patients feeling uncomfortable or judged. There may be similar effects for LGBTIQ+ people.”
Negative Erfahrungen bei der Physiotherapie
Weitere Ergebnisse aus der Studie von Ross und Setchell zeigten folgende, komplexe Situationen für LGBTQIA-Patient:innen in der Physiotherapie auf:
- Falsche Annahmen: Die Patient:innen empfanden, dass die Therapeut:innen schnell falsche Annahmen über ihre Sexualität und Geschlechtsidentität vornahmen, was dazu führt, dass LGBTQIA-Personen entweder gezwungen sind, sich zu outen, um die Annahme zu korrigieren oder zu lügen und nicht alle Aspekte des eigenen Lebens zu offenbaren, was für die Behandlung aber kontraproduktiv sein könnte.
- Körperliche Nähe und Ausgesetztheit (‚exposure‘): Hier war es die physische Nähe und körperliche Berührungen, die in der Physiotherapie natürlich essenzieller Bestandteil der Behandlung sind, aber dennoch für Unwohlsein bei LGBTQIA-Patient:innen sorgen können. So hatten lesbische Frauen etwa die Befürchtung, dass die Physiotherapeutin desselben Geschlechts sich unwohl dabei fühlen könnte, sie zu berühren und auch homosexuelle Männern befürchteten den männlichen Therapeuten zu verunsichern. Wenn die Personen sich für die Physiotherapie entkleidet haben, empfanden sie hingegen selbst Angst, den normativen gesellschaftlichen Vorgaben nicht zu entsprechen.
- Mangel an Wissen über transgender Gesundheitsbedürfnisse: Vielfach hatten die Teilnehmer:innen der Studie das Gefühl, dass die Physiotherapeut:innen fachlich nicht kompetent waren, wenn es um gesundheitsspezifische Themen von Transpersonen ging, wie etwa Hormontherapie & Operationen. Manche hatten das Gefühl den Therapeut:innen die Thematik erklären zu müssen, andere erlebten schließlich eine zu stark ausgeprägte Neugierde von Seiten der Physios bezüglich ihres Privatlebens.
Was Physiotherapeut:innen für LGBTQIA-Patient:innen tun können
Folgende Verbesserungsvorschläge, ausgehend von den Erfahrungen der Studienteilnehmer:innen und von ihnen befürwortet, haben die Studienautor:innen gesammelt:
- Physiotherapeut:innen sollten für die spezifischen Gesundheitsfragen von LGBTQIA-Menschen sensibilisiert werden (speziell Transgender-Gesundheit)
- die Teilnahme von Physiotherapeut:innen an Schulungen zur LGBTQIA-Vielfalt bzw. Diversität
- die Nutzung von Bildern, Fotos sowie weiteren visuellen Elementen mit einer Reihe von Menschen unterschiedlichen Geschlechts und unterschiedlicher Sexualität (nicht nur heteronormativ)
Das Fazit der Studienautor:innen ist, dass einzelne Element der Behandlung, die in der Natur der Physiotherapie liegen, besonderer Sensibilität bedürfen, wenn es sich bei Patient:innen um Mitglieder einer marginalisierten Gruppe handelt. Es geht dabei um die körperlichen Berührungen, das Entkleiden und die genaue Untersuchung des Körpers, die zu Unwohlbefinden führen können.
Um hier einer Diskriminierung oder Vorurteilen zu entgehen, behielten die LGBTQIA-Patient:innen eventuell für die physiotherapeutische Behandlung relevante persönliche und gesundheitliche Informationen für sich. Somit kann die Therapie eventuell jedoch nicht ihre volle Wirkung entfalten und zu einem nicht zufriedenstellenden Ergebnis der physiotherapeutischen Behandlung führen.
Es darf jedoch nicht allein den LGBTQIA-Patient:innen obliegen, sich outen oder öffnen zu müssen, Physiotherapeut:innen sollte bereits in ihrer Ausbildung sowie in Fortbildungen für diese Thematiken sensibilisiert werden und Werkzeuge in die Hände bekommen, um ihre Praxis zu einem „safe space“ zu machen!
Tipps für die Physiotherapie-Praxis
Tipp 1: Gendergerechte Sprache
In vielen Bereichen unseres Alltags hat die gendergerechte Sprache mittlerweile Einzug gehalten und deshalb sollte sie auch im Therapiealltag nicht zu kurz kommen bzw. vielmehr als Standard zur Anwendung kommen, um inklusiv zu handeln.
In der deutschen Sprache hat sich folgende inklusive und gendergerechte Schreib- und Sprechweise durchgesetzt, die auch im Praxisalltag leicht integriert werden kann: Patient*innen, Klient*innen und Kund*innen oder Patient:innen, Klient:innen und Kund:innen.
Hierbei wird das sogenannte Gendersternchen (der Asterisk *) oder ein Doppelpunkt verwendet, um als Platzhalter in Personenbezeichnungen neben männlichen und weiblichen auch nichtbinäre, diversgeschlechtliche Personen typografisch sichtbar zu machen und einzubeziehen. Gesprochen werden das Sternchen und der Doppelpunkt mit einer kurzen Sprechpause zum Ausdruck gebracht, also einem Glottisschlag, der „Gender-Pause“ genannt wird.
Tipp 2: Offen und tolerant sein
Dies ist natürlich leichter gesagt als getan, denn jede:r von uns hat sogenannte „unconscious bias“ in sich, also automatische Stereotype und andere fehlerhafte Neigungen bei der Wahrnehmung, Erinnerung und Beurteilung. Diese führen dazu, dass jede:r von uns gewisse Vorurteile in sich trägt, die tief verwurzelt und uns oftmals gar nicht bewusst sind. Damit einher geht natürlich nicht automatisch diskriminierendes Verhalten, aber dennoch können diese unbewussten Vorurteile und blinden Flecken uns im beruflich-professionellen Kontext in unserer Wahrnehmung beeinflussen.
Wenn sich Therapeut:innen mit dem Thema der unbewussten Stereotype und Vorurteile auseinandersetzen und – wie es meist ohnehin in ihrem Naturell liegt – sich einfach empathisch zeigen und auch eigene blinde Flecken offen adressieren, dann hilft es marginalisierten Personen bereits enorm, sich gesehen, in ihrer Individualität wahrgenommen und akzeptiert zu fühlen. Empathie und Offenheit sind der wichtigste Schritt!
Physiotherapeut:innen als LGBTQIA „allies“
Wenn LGBTQIA-Patient:innen merken, dass sich ihr:e Physiotherapeut:in mit dem Thema beschäftigt und versucht, auf ihre speziellen Bedürfnisse einzugehen, führt dies bereits zu mehr Wohlbefinden und weniger Scham. Dabei als Therapeut:innen etwaige „Fehler“ zu machen, sollte also nicht davon abhalten, den sensibleren Umgang fest in der eigenen Praxis zu implementieren und eine für alle Patient:innen inklusive Umgebung zu schaffen. Damit werden Physiotherapeut:innen zu sogenannten „allies“ ihrer LGBTQIA-Patient:innen.
Zusatzinfos:
Quelle der Studie: Ross, Megan H und Setchell, Jenny (2019): People who identify as LGBTIQ+ can experience assumptions, discomfort, some discrimination, and a lack of knowledge while attending physiotherapy: a survey, in: Journal of Physiotherapy, Vol. 65, Issue 2, April 2019, S. 99-105. Online abrufbar: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S183695531930013X
Weiterführende Informationen:
https://pivotalphysio.com/making-physiotherapy-an-inclusive-experience-for-queer-patients/
LGBTQIA-freundliche Praxen: